Streichquartett B-Dur, KV 458

"Jagdquartett"
Wolfgang Amadeus Mozart
Dauer: 25'
Allegro vivace assai
Menuetto moderato
Adagio - Allegro assai

“Nie war Mozart weniger in seinen Gesprächen und Handlungen als ein großer Mann zu erkennen, als wenn er gerade mit einem wichtigen Werke beschäftigt war. Dann sprach er nicht nur verwirrt durcheinander, sondern machte mitunter Späße einer Art, die man an ihm nicht gewohnt war, ja er vernachlässigte sich sogar absichtlich in seinem Betragen. Dabei schien er doch über nichts zu brüten und zu denken. Entweder verbarg er vorsätzlich aus nicht zu enthüllenden Ursachen seine innere Anstrengung unter äußerer Frivolität, oder er gefiel sich darin, die göttlichen Ideen seiner Musik mit den Einfällen platter Alltäglichkeit in scharfen Kontrast zu bringen und durch eine Art von Selbstironie sich zu ergötzen. Ich begreife, dass ein so erhabener Künstler aus tiefer Verehrung für die Kunst seine Individualität gleichsam zum Spotte herabziehen und vernachlässigen könne.”
Diese Bemerkungen seines Schwagers Joseph Lange über Mozarts skurrile Anwandlungen während der Komposition wichtiger Werke dürften sich hauptsächlich auf die Opern beziehen. Seine sechs Joseph Haydn gewidmeten Streichquartette hat Mozart in den Jahren 1782 bis 1785 wohl eher in häuslicher Konzentration geschrieben. Denn sie waren das Ergebnis einer “langen und arbeitsreichen Mühsal”, wie er in der Widmungsvorrede der Werke an Haydn bekannte.


Die Werkreihe zerfällt in zwei Gruppen: Die früheren drei Quartette in G, d und Es entstanden im Winter 1782/83, die späteren drei in B, A und C während des besonders arbeitsamen Winters 1784/85. In nur drei Monaten vollendete Mozart damals drei große Klavierkonzerte (KV 459, 466 und 467) und die drei großen Streichquartette (KV 458, 464, 465) – von vielen weniger bekannten Werken ganz abgesehen. Während die Klavierkonzerte für seine Fastenkonzerte im Februar 1785 bestimmt waren, entstanden die Streichquartette als Fortsetzung jener ersten drei Quartette von 1782/83. Leopold Mozart fand diese letzten drei Werke der Serie leichter als die ersten drei, aber nicht weniger meisterlich.


Dass man dem B-Dur-Quartett den Beinamen „Jagdquartett“ gab, findet seine eher schwache Rechtfertigung in den Hornfanfaren des Hauptthemas im ersten Satz und in dessen gleichsam „galoppierendem“ Sechsachteltakt. Ansonsten ist es ein weitaus lyrischeres Stück, als der Titel suggeriert – wie so oft, wenn Mozart die Tonart B-Dur benutzte. Man denke nur an die große B-Dur-Violinsonate, KV 454, oder die drei großen Klavierkonzerte in B-Dur, KV 450, 456 und 595.

In all diesen Stücken spielen neben der lyrisch-gesanglichen Schönheit der Themen Jagdthemen und Jagdfanfaren eine gewisse Rolle, was mit den Hörnern der Mozartzeit zu tun hat. Die Hoch-B-Hörner waren die strahlenden Vertreter ihrer Zunft und geradezu prädestiniert dazu, sich im Fanfarenklang in den Vordergrund zu drängen, was sie in Sinfonien, Divertimenti und Klavierkonzerten auch oft genug taten. Im Streichquartett, wo Mozart über keine Hörner verfügen konnte, musste er diesen Klang mit den Streichern alleine nachahmen. Dies geschieht zu Beginn des ersten Satzes: Die Geigen eröffnen mit einem förmlichen Horn Ruf. Ihr „Jagdthema“ wandert später auch in die Bratsche und erfährt eine kraftvolle Ausarbeitung, bis es von einer unscheinbaren Sechzehntel Figur verdrängt wird, die dem weiteren Verlauf des Satzes ihren Stempel aufdrückt. Ein weiteres Thema gesellt sich zu Beginn der Durchführung hinzu – wie so oft, wenn Mozart im ersten Teil eines Satzes mit wenigen Motiven auskommen, dafür aber den Hörer mit einem neuen Thema im Mittelteil entschädigen wollte. Hier ist eine liebliche Pastorale, die uns zuerst entzückt, über die dann aber der düstere Schatten der Tonart f-Moll fällt. Mit kräftigen Strichen wischen die Geigen diese verschattete Episode kurz vor der Reprise vom Tisch. Der Rest des Satzes bleibt der bukolischen Stimmung des Anfangs treu, bis ihm die Coda unerwartet die Krone aufsetzt. Wir hören erst eine harmonische Irritation, dann einen Orgelpunkt, über dem sich das Jagdthema in triumphalem Kanon entfaltet. Schließlich verwandelt sich das Sechzehntel Motiv in eine buffoneske Musik, die sich auf leisen Sohlen davonstiehlt.

Das Menuett hat Mozart hier ausgesprochen zeremoniös angelegt, höfisch durch und durch, mit Trillern und allerhand Zierrat ausgestattet – “stately”, wie die Briten sagen würden. Umso einfacher gibt sich das Trio: ein Ländler der ersten Geige über einer federnden Begleitung.

Höhepunkt des Quartetts ist das herrliche Adagio in Es-Dur. Während Mozart normalerweise das schnellere Andante-Tempo für seine langsamen Sätze bevorzugte, griff er hier ganz ausdrücklich zum langen Atem eines Adagios, noch dazu in Es-Dur, der pathetischen Tonart schlechthin in der Wiener Klassik. Man hat es mit der Quartettimitation einer “Air pathétique” zu tun, wie die Zeitgenossen die pathetischen Abschiedsarien der Kastraten in der Opera seria nannten. Stockend beginnt die erste Geige ihre „Rede“, immer wieder den Faden aufgreifend, sich in die Höhe schwingend und dann doch wieder ermattend. In einer wehmütigen Kantilene in c-Moll bringt sie den Abschiedsschmerz noch deutlicher zum Ausdruck. Ein Zwiegespräch mit dem Cello mündet in ein schmerzliches Duett über zarten „Bebungen“ der begleitenden Instrumente. Am Ende stimmt die Geige ein letztes Mal ihr „Parto, parto“ an, bevor der Satz im Pianissimo stockend ausklingt.
Dem Ernst dieses Satzes antwortet das Finale mit ausgelassener Tanzlaune. Drei Themen, alle drei Contretänze, bilden das Material des Satzes, der sich dazwischen zu orchestralen Tutti-Klängen aufschwingt. Dass Mozart mit den scheinbar so unschuldigen Themen dieses Finales noch mehr im Sinne hatte, offenbart die Durchführung, die das Hauptthema nach allen Regeln der Kunst kontrapunktisch und harmonisch durcharbeitet – bis hin zu berückenden Vorhalts Wendungen. Noch bis in die letzten Takte des Satzes hinein hat Mozart den feinen Nuancen seines Hauptthemas akribisch nachgespürt.

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