Konzert für Violine Nr. 1

Béla Bartók
Dauer: 21'

Bisweilen sind Kunstwerke so eng mit persönlichen Erlebnissen ihrer Autoren verknüpft, dass sie kaum je in die Selbstständigkeit einer autonomen öffentlichen Wahrnehmung entlassen werden. Im Falle von Béla Bartóks 1. Violinkonzert verlief dieser Prozess besonders schwerfällig. Eine ganz und gar private Liebesgeschichte war nicht nur schuld daran, dass das Konzert ein halbes Jahrhundert lang seiner Uraufführung harren musste, sondern besetzte, als diese 1958 durch den Solisten Hansheinz Schneeberger endlich erfolgte, auch weiterhin den interpretatorischen Blick auf die Musik. Die Geschichte begann 1907, als der damals 26jährige Bartók in Budapest der jungen Geigerin Stefi Geyer (1888 – 1956) begegnete, sie umwarb, tatsächlich einige hoffnungsvolle Monate mit ihr verbrachte und sogleich mit der Komposition eines ihr gewidmeten Violinkonzerts begann. Die Geschichte mündete bald schon in fundamentale Auseinandersetzungen zwischen den beiden – unter anderem stiess der bekennende Atheist Bartók in religiösen Fragen auf Stefi Geyers Ablehnung –, zwei Sätze des Konzerts waren inzwischen vollendet und wurden der verlorenen Geliebten gewidmet: «Für Stefi, aus glücklicheren Zeiten – auch wenn diese schon halbherzig waren.» 

Die persönlichen Anspielungen der Musik sind zahlreich: Das in Terzen aufsteigende Viertonmotiv des Anfangs bezeichnete Bartók als «ihr Leitmotiv». Das Zitat eines Kinderlieds gegen Ende des Konzerts, versehen mit der Fussnote «Jásberény, 28. Juni 1907» verweist auf einen gemeinsamen Ausflug. Der ganze erste Satz sollte «ein musikalisches Portrait der idealisierten Stefi Geyer, transzendent und vertraulich» sein, der zweite stellt «die lebendige Stefi Geyer, fröhlich, witzig und unterhaltend» dar. Dass ein dritter Satz schliesslich nicht mehr geschrieben wurde, ist ebenso auf das Scheitern der Liebe zurückzuführen wie die Tatsache, dass weder Bartók noch Stefi Geyer das Konzert der Öffentlichkeit überantworten mochten. Jedenfalls nicht in der ursprünglichen Gestalt. Das musikalische Material hingegen publizierte Bartók sehr wohl: indem er es in anderen Kompositionen wieder verwendete. Im ersten («Das Ideal») der Zwei Portraits op. 5 taucht die Musik aus dem ersten Satz des Violinkonzerts auf; das zweite «Portrait» («Ein Zerrbild») ist eine Instrumentierung der letzten der 14 Bagatellen op. 16, die wie die 13. Bagatelle (mit dem Titel «Sie ist gestorben») das Geyer-«Leitmotiv» enthält (welches übrigens auch im 1. Streichquartett erscheint).
Das Private hat also durchaus seinen Weg an die Öffentlichkeit – und damit auch in einen abstrakteren Kunst-Kontext – gefunden. Solche Wandlung der Bedeutungsebenen kennt Vorbilder: Richard Strauss etwa, der in seiner Sinfonie domestica den eigenen Familienhaushalt zum Thema einer raffinierten sinfonischen Dichtung machte – und den Bartók in seiner Jugend bewunderte. Auch Wagner tritt mit einem «Tristan»-Zitat im 2. Satz des Violinkonzerts kurz auf, das sich im Übrigen mit seiner Spannweite zwischen schwärmerisch ausschwingender Melodik im ersten und zerklüfteter, bohrender Rhythmik im zweiten Satz als ein Schlüsselwerk des jungen Bartók auf seinem Weg vom Abschied von der Romantik zu pionierhafter Moderne erweist.

©Michael Eidenbenz

 



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