Vom Violinkonzert über die Kirche ins Kaffeehaus – J.S.Bachs Cembalo-Konzert d-moll
Seine Lebens- und Arbeitsjahre in Leipzig widmete Johann Sebastian Bach durchaus nicht nur dem Kantorenamt an der Thomas-Kirche und den damit verbundenen Pflichten. Daneben galt sein Komponieren und Musizieren auch dem weltlichen Konzert. 1729 übernahm er die Leitung des Collegium musicum und veranstaltete mit dieser studentisch-bürgerlichen Vereinigung bis etwa 1741 wöchentlich Konzerte in den Räumen des Zimmermannschen Kaffeehauses. Dieses hat man sich nicht etwa als gewöhnliche Gaststätte, sondern als durchaus repräsentablen Ort für ein weltliches Musizieren im freien Geist der Begegnung zwischen Musikern und Publikum vorzustellen. Und für Bach selber muss, nachdem die ersten Leipziger Jahre die ganze Konzentration auf die Kirchenmusik gefordert hatten, die Gelegenheit willkommen gewesen sein, sich wie einst als Köthener Hofkapellmeister wieder der Konzertmusik zuwenden zu können. Ja, angesichts der zunehmenden Klagen über die problematische Situation an der Thomas-Kirche liesse sich gar eine eigentliche Interessenverlagerung vermuten.
In den ersten Collegium-musicum-Jahren bevorzugte Bach noch Besetzungen mit mehreren Cembali, wobei höchstwahrscheinlich auch die ältesten Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel Solopartien übernahmen. Später, die beiden Söhne waren inzwischen ausgezogen, reduzierte sich die Besetzung auf ein einziges Cembalo mit Orchesterbegleitung. Dieses erlangte dabei ein in der Musikgeschichte bisher unbekanntes Ausmass, was Anteil und Virtuosität des Soloinstruments betrifft – das Klavierkonzert war erfunden!
Um 1738 entstand das sechsteilige Autograph der Cembalokonzerte BWV 1052-1057, an dessen erster Stelle das Konzert in d-Moll steht. Mit seiner Virtuosität und den prägnanten Themen der Aussensätze und mit der ergreifenden Expressivität des Mittelsatzes hat es schnell eine besondere Beliebtheit erlangt. Die zukunftsweisende Innovationskraft, die von ihm ausgeht (das Klischee, Bachs Musik sei zu seinen Lebzeiten schon veraltet gewesen, ist nicht nur in diesem Zusammenhang unhaltbar!), wirkt umso erstaunlicher, als das Konzert auf einem in jüngeren Jahren entstandenes, nicht erhaltenen Violinkonzert basiert. Dieses hatte Bach Ende der 1720er Jahre schon einmal für Kantatensätze umgeschrieben, wobei beispielsweise der langsame Satz zum ersten Chorstück der Kantate 146 «Wir müssen durch viel Trübsal» wurde. Dieser ergreifenden Kirchenmusik nun im Zimmermannschen Kaffeehaus wiederzubegegnen, könnte befremden, wären dem Kosmos von Bachs Schaffen nicht die stilistische Unterscheidung zwischen frommer und weltlicher Musik seit je fremd gewesen. Und so bedeutet es schliesslich auch keineswegs eine Entstellung der musikalischen Substanz, wenn sich bald darauf schon die modernen Flügel des originalen Cembaloparts annahmen. Felix Mendelssohn spielte es auf einem Instrument seiner Zeit, Robert Schumann desgleichen –und heute hat es sich längst schon auf dem grossen Steinway etabliert. Von der Violine zum Kirchenchor, zum Cembalo, zum Flügel – das Wesen bleibt, was wechselt, sind die Farben.