Gioachino Rossinis Il barbiere di Siviglia gilt als Paradebeispiel einer Opera buffa.
Der Stoff, die musikalischen Formen, die Handlung und die Figuren sind paradigmatisch
für diese Gattung. Dazu kommt noch eine Musik von „überschäumender Animalität“, wie es Friedrich Nietzsche ausdrückte, die diesem Meisterwerk bis heute ungebrochene Popularität verschafft. Selbst Beethoven, der den Rossini-Taumel in Wien der 1820er Jahre verachtete, konnte dieser funkensprühenden Opera buffa seine Bewunderung nicht versagen.
Dabei war die Uraufführung am 20. Februar 1816 im Teatro Argentino in Rom ein Misserfolg und einer der gern zitierten Skandale der Operngeschichte. Anhänger des Komponisten Giovanni Paisiello konnten es nicht verwinden, dass Rossini die Vorlage, den ersten Teil von Beaumarchais’ Figaro-Trilogie, erneut vertonte, und pfiffen nach jeder Nummer. Der Siegeszug von Rossinis Barbiere rund um den Erdball ließ sich jedoch nicht aufhalten. Die Rezeptionsgeschichte zeigt aber, dass der perfide doppelte Boden der Handlung mehr und mehr verwischt wurde, und die brisante Botschaft dieser komischen
Oper leider allzu oft zur billigen Klamotte degradiert wurde. Rossini erkannte als einer der ersten die Zeichen einer neuen Zeit: Die industrielle Revolution und der Kapitalismus
begannen sich zu formieren. Und Rossini stellte deren gefährlichen Aberwitz auf
der Bühne bereits warnend zur Schau. Sind nicht die ausgetüftelten Pläne des Titelhelden einzig der belebenden Wirkung des Geldes geschuldet?
Bartolo hat es nur auf das Vermögen Rosinas abgesehen, und im intriganten Basilio explodieren die Macht- und Zerstörungsfantasien. Graf Almaviva ist dagegen der Prototyp des Geldadels, der mit Privilegien und pekuniären Bestechungen alles zu seinen Gunsten regeln kann. Und ist nicht auch Rosina in Wahrheit kühl berechnend, um keine Notlüge verlegen? Von ihren Koloraturen sagte bereits Stendhal, nichts Kälteres sei denkbar. Rossinis Meisterwerk, das die Vorgeschichte zu dem älteren Geniestreich, Mozarts gesellschaftlich genauso hellsichtigen Le nozze di Figaro zeigt, ist also nicht nur eines der erfolgreichsten Stücke der Opernliteratur, Il barbiere di Siviglia ist aktueller denn je.
Quelle: Vereinigte Bühnen Wien