HANDLUNG
Der Gelehrte Faust ist des ergebnislosen Strebens nach Erkenntnis müde. In seiner Verzweiflung beschwört er den Teufel, der auch prompt in Gestalt Mephistos erscheint und ihm das Bild der schönen Margarethe herbeizaubert. Er verspricht Faust, ihn zu verjüngen und zu dem Mädchen zu führen, wenn er ihm seine Seele verschreibt. Faust willigt ohne zu zögern ein. Mephisto bringt Faust sodann zu einem Fest, bei dem Soldaten Abschied feiern, darunter auch Valentin, er muss in den Krieg ziehen. Seiner Schwester Margarethe empfiehlt er den Schutz seines Freundes Siebel. Mephisto treibt seine tollen Späße. Als er in aller Öffentlichkeit Margarethe hochleben lässt, bedrängt ihn Valentin mit dem Degen. Faust hat unterdessen Margarethe vergeblich den Hof gemacht, ist aber, überwältigt von ihrer Erscheinung, in Liebe zu ihr entbrannt.
Der schüchterne Siebel, der Margarethe ebenfalls liebt, will ihr Blumen bringen, die aber, teuflisch verhext, dahinwelken. Stattdessen legt Mephisto kostbaren Schmuck vor Margarethes Türe. Auch bei ihr hat Faust einen gewaltigen Eindruck hinterlassen. Ihre Nachbarin rät ihr, den Schmuck zu behalten. Jetzt ist die Gelegenheit für Faust gekommen. Mephisto lockt die geschwätzige Nachbarin weg und lässt Faust mit dem jungen Mädchen allein. Die beiden gestehen einander ihre Liebe und Margarethe lässt Faust heimlich in ihr Haus ein. Das hat Folgen: Margarethe wird schwanger, und Faust verlässt sie. In der Kirche fleht Margarethe erfolglos um Vergebung für ihre Sünden. Unterdessen kehren die Soldaten heim. Beunruhigt über Siebels merkwürdige Berichte fordert Valentin Faust zum Duell, aus dem dieser, von Mephisto gelenkt, als Sieger hervorgeht. Sterbend verflucht Valentin seine Schwester. Schließlich will Faust das Mädchen, das in geistiger Verwirrung ihr Kind gemordet hat, dafür zum Tode verurteilt wurde und nun im Kerker sitzt, noch einmal sehen. Voller Reue versucht er, Margarethe dazu zu überreden, mit ihm zu fliehen. Da sie aber in Mephisto den Teufel erkennt und an Fausts Händen Valentins Blut erblickt, wendet sie sich schaudernd von den beiden ab. Mephisto will triumphieren, aber Engel tragen die Leblose in den Himmel und verkünden ihre Rettung.
ZUM WERK
Charles Gounods hinreißende Vertonung ist als „Parodie auf Goethes Faust“ bezeichnet worden. Dabei haben die Kritiker aber außer Acht gelassen, dass Gounod und seine Librettisten bei ihrer literarischen Bearbeitung der Tragödie dieser zwar das Handlungsgerüst entnahmen, aber mit operngemäßem Spürsinn die Akzente so sehr veränderten, dass nicht mehr Faust, sondern Gretchen zur Hauptgestalt wurde. Es hatte also durchaus seine Berechtigung, dass diese wohl erfolgreichste Oper Gounods im deutschen Sprachraum bis vor kurzem unter dem Titel Margarethe aufgeführt wurde und war nicht allein dem Vorbehalt geschuldet, dieses Werk nicht so eins zu eins mit Goethes Drama in Verbindung bringen zu wollen. Steht doch in dieser Opéra lyrique ein junges Mädchen im Zentrum, das an die große Liebe glaubt, verführt wird und daran zerbricht. Umkreist wird es von mehreren Männern,die ihre unterschiedlichen Sehnsüchte und Fantasien in dieses ahnungslose Wesen hineinprojizieren: Faust träumt von Erkenntnis, Jugend und Leidenschaft, Mephistopheles beobachtet sie mit kaltem Voyeurismus, ihr Bruder Valentin betrachtet seine Schwester dagegen als Statussymbol und Eigentum; die aufrichtigen Gefühle Siebels verhallen im Nichts.
Gounod hatte sich bereits während seines Italien-Aufenthalts (1839-42) mit dem Faust-Stoff und Goethes Drama, das auch in Frankreich überaus populär war, näher beschäftigt, ehe er vom Direktor des Théâtre Lyrique den Auftrag erhielt, eine neue Oper auf der Basis von Goethes Drama zu schreiben. Gounod machte sich zwar 1857 mit Feuereifer an die Arbeit, doch die Uraufführung verzögerte sich noch über zwei Jahre bis zum 19. März 1859. Es war dies noch eine Fassung mit gesprochenen Dialogen, wie es zu dieser Zeit gemäß dem Napoleonischen Theaterdekret aus dem Jahre 1807 vorgeschrieben war, denn die durchkomponierten Werke in französischer Sprache waren dem Théâtre de l’Opéra vorbehalten. In dieser Dialogfassung wurde die Oper allein am Théâtre Lyrique über dreihundertmal gespielt. Heute kennen wir dieses Werk freilich nur noch in der erweiterten und mit Rezitativen versehenen Fassung, die Gounod nach dem Bankrott des Théâtre-Lyrique für die Pariser Oper geschrieben hat und die auch wir spielen.
Quelle: www.theater-wien.at