Adagio aus der Solosonate in g-Moll, BWV 1001

Johann Sebastian Bach
1714
Dauer: 5'

Die Sonata prima in g-Moll beschreibt in wünschenswerter Klarheit Bachs Absichten hinter dem gesamten Zyklus. Es ging ihm um eine Synthese zwischen dem italienischen Violinstil der Corelli-Schule und der deutsch-österreichischen Tradition polyphonen Geigenspiels, wie wir sie heute hauptsächlich mit Biber und Schmelzer verbinden. Das reich verzierte Adagio, mit dem die Sonate beginnt, ist von den ersten Sätzen der Corellisonaten Opus 5 inspiriert, wobei Bach die Verzierungen, die man bei Corelli zu improvisieren hätte, bis auf den kleinsten Vorschlag minutiös ausschrieb. Aus den Nuancen der auf- und absteigenden Läufe, der Triller und Doppelschläge, vor allem aber aus den dissonanzenreichen Vorhalten entsteht eine so affektreiche Klangrede, wie sie wohl nur Bachs Vortragsstil zu Tage fördern konnten. Hätte er, wie die Italiener, nur die nackten Grundtöne dieses Adagios notiert, wir wüssten nicht mehr, wie großartig er auf seiner Stainergeige Verzierungen zu den Grundharmonien eines Adagio improvisieren konnte.

Die g-Moll-Fuge, die Bach auch für Orgel und Laute arrangiert hat, beruht auf einem Thementypus italienischer Provenienz. Als junger Organist hatte Bach Fugen aus Triosonaten von Albinoni, Corelli und Legrenzi für Cembalo bzw. Orgel bearbeitet. Ihre Themen lieferten ihm das Modell für seine g-Moll-Fuge, die sich auch sonst ? in den virtuosen Zwischenspielen, im konzerthaften Duktus und dem klaren Kontrapunkt ? italienisch gibt. Deutsch daran sind die zahllosen Doppelgriffe, mit denen der Geiger auf seinen vier Saiten die Vollstimmigkeit der Orgel nachzuahmen trachtet.

Die Siciliana des dritten Satzes verweist ebenfalls auf den italienischen Stil. Es ist eine jener pastoral schwingenden, im 6/8- oder 12/8-Takt notierten Arien, die zuerst von dem Sizilianer Alessandro Scarlatti in die Oper eingeführt und von dort auf die Instrumentalmusik übertragen wurden. In Italien geschah dies um 1700, in Deutschland 10 bis 15 Jahre später. Bachs Siciliana aus der g-Moll-Sonate zählt zu den frühesten deutschen Beispielen dieses Typus und ist das früheste aus Bachs Feder ? es sollten ihr in Bachs Concerti und Sonaten, Passionen und Kantaten noch mehr als 40 Sätze dieses Typus folgen. Bei Bachs erstem Versuch in dem Genre bleibt von der schlichten Oberstimmenmelodik italienischer Prägung nicht viel übrig. Mehrstimmigkeit und das Spiel mit nachschlagenden Figuren durchkreuzen die simple Absicht der Italiener und formen daraus einen typisch deutschen Barocksatz für Violine solo.

Quelle: www.kammermusikfuehrer.de

zurück