Ein Mann, eine Frau, durch eine tiefe Liebe geheimnisvollen Ursprungs miteinander verwoben. In ihrer Existenz empfinden sie nichts als wahr außer dieser Liebe. Aber sie ist nichts Greifbares, nichts was unter den Regeln der Realität eine Befriedigung finden kann, im Gegenteil: Beide Liebende sind an andere gebunden. Ihr Gefühl ist aber so mächtig, dass es eine andere Dimension erzwingt und eine parallele Welt entwickelt, in der sich ihr Schicksal in tragischer Erfüllung ausbreitet. Was ist nun wahres Leben? „Ist unsere materielle Welt nur eine Hülle, eine Täuschung oder gar ein Experiment, das einer matrixartigen Versuchsanordnung folgt?“ fragt sich Regisseur Günther Groissböck bei seinem theatralischen Versuch, die Gefühle der beiden Liebenden füreinander auf die Probe zu stellen. Was ewig bleibt, ist die fantasierte Alternative zum bürgerlichen Dasein, das Liebe verwehrt. Die Liebenden spiegeln sich in einem Paar aus ferner Zeit: Als Tristan die irische Königstochter Isolde für Cornwalls König Marke übers Meer bringt, sind Tristan und Isolde unausgesprochen längst Liebende. Tristan hatteI soldes Verlobten Morold im Kampf getötet. Aber Isolde hatte Morolds Schwert vergiftet, womit er Tristan noch verletzte. Als „Tantris“ begab Tristan sich dann zu Isolde, die den Fremden pflegte. Aber bald erkannte sie ihn als den Mörder ihres Verlobten und wollte ihn töten. Als sie ihm jedoch in die Augen blickte, begann sie ihn zu lieben. Sie zweifelte nicht, dass auch er sie liebte, so war sie, als er für Marke und nicht für sich selbst um sie warb, tief beleidigt. Daher will sie sich und Tristan töten. Aber ihre Vertraute Brangäne reicht ihr nicht das Gift, sondern einen Liebestrank. Anstatt zu sterben, werden Tristan und Isolde von der Größe und Wahrheit ihrer Liebe überwältigt. Die Realität ist dennoch stärker: Isolde heiratet Marke, kann aber nicht anders, als ihre Liebe mit Tristan weiterzuleben. Irgendwann überrascht Marke das Paar. Verzweifelt signalisiert Tristan Isolde, er werde sich den Tod geben, wenn sie ihm folgen wolle. Als Isolde dies bejaht, stürzt er sich in ein Schwert, siecht dahin und stirbt endlich in ihren Armen. Als Marke verzeihen will, ist es zu spät: Isolde stirbt über Tristans Leiche .
Richard Wagners Tristan und Isolde, vielleicht das bahnbrechendste Werk der Musikgeschichte, entsprang dem eigenen Erleben des Komponisten: Mit Mathilde Wesendonck, der Frau seines Gönners, verband ihn eine leidenschaftliche, unerfüllbare Liebe. Die Kraft dieser Liebe wurde zur Inspirationsquelle und verweist so wiederum auf jene schöpferische Gewalt, die nicht nur das Leben als solches erzeugt, sondern uns Menschen generell in weiterer Folge auch überlebensgroße geistige Leistungen und Kunstwerke zustande bringen lässt. Wagner war sich dessen bewusst, während der Arbeit schrieb er an Mathilde: „Ich bin immer noch im zweiten Akte. Aber – was wird das für Musik! Ich könnte mein ganzes Leben nur noch an dieser Musik arbeiten. O, es wird tief und schön; und die erhabendsten Wunder fügen sich so geschmeidig dem Sinn. So etwas habe ich denn doch noch nicht gemacht; aber ich gehe auch ganz in dieser Musik auf; ich will nichts mehr davon hören, wann sie fertig werde. Ich lebe ewig in ihr.“ Was ist nun stärker und wahrer? Das in der Imagination ins Unendliche gesteigerte Gefühl oder die unvollkommene, aber fassbare Realität? Die Imagination spielt im Mittelalter, aber die Liebenden scheitern – wie Richard und Mathilde – an der Moral des 19. Jahrhunderts. 1786 hatte Mozart mit Le nozze di Figaro die Etablierung dieser bürgerlichen Moral positiv gezeigt, 1857 enthüllt Wagners Werk deren Untauglichkeit gegenüber der ewigen Gewalt der Liebe. Ins Unbewusste verdrängt, stört ihr angeblich sündiges Begehren verhängnisvoll den Seelenfrieden. Wagner legt mit seiner Oper auch davon das beeindruckendste Zeugnis seiner Zeit ab, lange bevor Sigmund Freud die Untiefen der Psyche wissenschaftlich erforschte. Unser Tristanexperiment dreht sich um die Schöpferkraft der Liebe und um jene Mechanismen der menschlichen Psyche. Dafür haben Dirigent Hartmut Keil und der weltbekannte Bass Günther Groissböck – der hierbei sein Regiedebüt geben wird –, eine Wiener Kammerfassung für 5 Solisten und 20 Musiker entwickelt, die es dem Regisseur ermöglicht, einen genauen Blick in die Köpfe der Protagonisten zu werfen, die existenzielle Suche zwischen Herz und Hirn zu evozieren und das Stück in die Geschichte der bürgerlichen Psyche einzuordnen.