Joseph Haydn Cellokonzert in C-Dur – eine echte Trouvaille
So stellt man sich die wahren Sensationen musikwissenschaftlicher Forschung vor: Im Jahr 1961 stiess der Musikwissenschafter Oldrich Pulkert bei Archivierungsarbeiten im Prager Nationalmuseum auf die Abschriften von Stimmen zu einem Konzert. Und siehe da: Die gefundene Musik stimmte exakt mit den Eintragungen überein, mit denen Joseph Haydn in seinem eigenen Werkverzeichnis, dem sogenannten «Entwurf-Katalog», die Existenz eines gewissen Konzerts für Violoncello und Orchester in C-Dur festgehalten hatte. Die Sensation war perfekt, das Werk wurde am 19. Mai 1962 im Rahmen des Prager Frühlings zum zweiten Mal uraufgeführt. Über das Aufsehen hinaus, das jede Neuentdeckung einer Komposition Joseph Haydns erregen muss, ist der Fall des Cellokonzerts aber besonders spektakulär: Es zählt nicht nur zu den kunstvollsten aller bis dahin für dieses Instrument geschriebenen Solokonzerte, sondern auch zu den anspruchsvollsten. Geschrieben hat es Joseph Haydn mit grösster Wahrscheinlichkeit für den Cellisten Joseph Weigl. Dieser war Mitglied im Orchester des Fürsten von Esterházy, jenem im Schloss Esterháza am Neusiedler See beheimateten Klangkörper, dem Haydn fast dreissig Jahre lang verbunden blieb. Zu seinem Cellisten unterhielt der Komponist eine enge Freundschaft, was unter anderem dadurch bezeugt ist, dass Haydn zum Paten von Weigls Sohn Joseph wurde (der seinerseits Komponist werden und mit dem Singspiel Die Schweizer Familie später grosse Erfolge feiern sollte). War das Cellokonzert vielleicht gar ein Taufgeschenk Haydns? – Das ist Spekulation. Offensichtlich aber ist, dass Haydn nicht nur die menschlichen Qualitäten des Freundes, sondern auch seine musikalischen Fähigkeiten überaus hoch einschätzte. Die technischen Schwierigkeiten, die er ihm speziell im Finale zumutete, die Farben, der Klangsinn und die grosse Ausdruckspalette zeugen davon auf eindrückliche Weise.
Entstanden sein muss es in der Zeit zwischen 1761, als Haydn zum Vizekapellmeister des Esterházy-Orchesters ernannt wurde, und 1765, als der erwähnte «Entwurf-Katalog» entstand. Es gehört somit Haydns zu frühem Schaffen, zu einer stilistischen Übergangszeit: In seiner Figurensprache und in gewissen Formelementen mutet es spätbarock an, mit dem letzten Satz aber weist es formal schon weit in die spätere «Wiener Klassik» voraus. Ausserdem experimentierte Haydn mit einer erstmals bei Solokonzerten verwendeten grossen Bläserbesetzung und flocht zudem, wie musikwissenschaftlicher Detektivismus nachgewiesen hat, diverse Zitate aus eigenen früheren Kompositionen ein.
Ein wahrhaftes musikalisches Kaleidoskop war also 1961 vor der Vergessenheit gerettet worden. Wie aber war es möglich, dass der Wert jenes Prager Notenmaterials so lange nicht erkannt wurde? Traute man Haydn solche Cello-Virtuosität nicht zu? Fast will es so scheinen: Auch sein zweites Cellokonzert, jenes später entstandene in D-Dur, wurde erst vor 60 Jahren zweifelsfrei als echte Komposition Haydns nachgewiesen. Über 150 Jahre lang hatte man es für das Werk eines anderen gehalten.